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Buchrezension: Soko Tierschutz


Friedrich Mülln, Jahrgang 1980, ist das vermutlich bekannteste Gesicht der deutschen Tierschutzaktivisten. Im Jahr 2012 gründete er die “Soko Tierschutz”, die spätestens seit ihren Enthüllungen rund um das LPT-Labor in Hamburg (2020) vielen von uns ein Begriff sein dürfte. In seinem Anfang März ’21 erschienenen Buch nimmt er uns mit auf eine bedrückende Reise in Schweinemastbetriebe, in Hühnerställe, in Schlachthöfe, in die Stopfleberproduktion, in Pelztierfarmen und vieles mehr. Dabei zeigt er uns (in unserem Kopf) nicht nur einen Teil der verstörenden Bilder, denen er bei seiner Arbeit tagtäglich begegnet, sondern gibt uns auch einen Einblick hinter die Kulissen der Tierschutz-Arbeit. Denn die fängt nach den Recherchen eigentlich erst so richtig an…

Wenn Friedrich Mülln aus dem Nähkästchen seiner jahrzehntelangen Undercover-Recherchetätigkeit im Einsatz für die Tierrechte plaudert, dann braucht man beim Lesen vor allem eines: gute Nerven!

Mülln setzt sich bereits seit seiner Jugend für die Rechte der Tiere ein und hat sich den Tierschutz zur Lebensaufgabe gemacht. Im Laufe der Jahrzehnte hat er unzählige Undercover-Rechercheeinsätze durchgeführt, zahlreiche Skandale im Bereich der Massentierhaltung und der Tierindustrie aufgedeckt und dabei Dinge gesehen, die den meisten Menschen (hoffentlich) nicht in ihren schlimmsten Träumen einfallen würden.

In seinem jüngst erschienenen Buch nimmt Friedrich Mülln uns mit auf eine Zeitreise durch seine Jahre im aktiven Tierschutz: von der ersten Auftrags-Recherche in Indien über Hühner-, Puten- und Schweineställe, Tierversuchslabore, Stopfleber- und Daunenproduktion, Pelztierfarmen in China, Kuhställe und Schlachthöfe bis hin zur bitteren Realität von Behördenblindheit, Schmutzkampagnen und jeder Menge Gegenwind, der man als Tierschützer ausgesetzt ist.


Inhalt

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Das Buch

Vom ersten Eindruck her hält man ein eher unscheinbares Taschenbuch in der Hand, das schlanke 271 Seiten umfasst. Doch schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis verrät, dass die Verpackung trügt – „Soko Tierschutz“ hat es ganz schön in sich: hier erwartet uns als Leser ein ordentlicher Massentierhaltungs-Rundumschlag!

Wer sich selbst davon überzeugen möchte, findet hier >> eine Leseprobe einschließlich des kompletten ersten Kapitels.

Das Lese-Erlebnis

Der Einstieg in die Lektüre fällt leicht, Mülln nimmt uns zunächst einmal mit in seine Jugendzeit und berichtet darüber, wie er zum Tierschutzaktivisten wurde – und warum er sich schließlich für den friedlichen Kampf mit der Waffe „Kamera“ entschieden hat. Anhand seiner ersten Auftragsrecherche erhalten wir Einblicke in die Strukturen von Tierschutzorganisationen und wir lernen, dass gute Vorarbeit das A und O für eine erfolgreiche Recherche bedeutet.

Nachdem wir uns also langsam eingegroovt und uns an den überraschend sachlich-nüchternen und gleichzeitig lebendigen, teilweise sogar humorvollen Schreibstil gewöhnt haben, den zumindest ich angesichts der wirklich schweren Thematik nicht unbedingt erwartet hätte, wird es mit der daraufhin geschilderten Recherche zu Antibiotika in Schweineställen dann doch langsam aber sicher ungemütlich. Ich hatte bis dato eigentlich gedacht, dass ich recht gut im Bilde wäre über die Antibiotika-, Fleisch- und Schlachtskandale des vergangenen Jahrzehnts – und doch war ich auf viele der Bilder, die sich beim Lesen der 271 Seiten in meinem Kopf formten, nicht vorbereitet.

Dies führte letzten Endes dazu, dass mein Hirn die ganze Zeit über versucht war, das Gelesene in die Schublade „Fiktion“ zu schieben. Denn ganz ehrlich: wäre dieses Buch ein fiktionaler Horror-Schocker, müsste man den Autor für seinen Einfallsreichtum in Sachen Grusel-Szenarien mit Auszeichnungen überschütten. Ich musste mir also regelmäßig ins Gedächtnis rufen, dass es die bittere Realität war und keine Fiktion, die mich beim Lesen wieder und wieder in Fassungslosigkeit versetzte.

Dennoch gelingt es Friedrich Mülln, uns Lesern zwischendurch auch immer wieder kurze Verschnaufpausen von all den Schrecken zu verschaffen, in denen er uns mehr über die Hintergründe, Zusammenhänge und Verstrickungen der Tierhaltungsindustrie berichtet, in denen er uns mitnimmt hinter die Kulissen von Tierschutzorganisationen, in denen Erfolge gefeiert, Rückschläge eingesteckt und mögliche Lösungen aufgezeigt werden – und in denen Mülln uns auch sehr persönliche Einblicke in sein Leben gewährt.
Zudem finden wir am Ende vieler Kapitel ein Factsheet, das noch einmal die wichtigsten Punkte des jeweiligen Themas zusammenfasst, es gibt ein Bullshit-Bingo zur veganen Lebensweise und Regeln für den erfolgreichen Tierschutzaktivismus.

Besonders sticht auch die „Checkliste für den Metzger des Vertrauens / Hofladen“ heraus, deren Fragen uns in die Lage versetzen, die Produktions- bzw. Lieferkette unseres vermeintlich vertrauenswürdigen (Bio-)Fleischdealers zu durchleuchten.

Wir bekommen also nicht nur die volle Breitseite an schockierenden Bildern, sondern auch praktische Lösungsansätze, die uns einen möglichen alternativen Weg aufzeigen. Ganz im Sinne der optimistischen Grundeinstellung, die Friedrich Mülln vertritt:

„DU BIST NICHT TEIL DES PROBLEMS, DU BIST TEIL DER LÖSUNG!“

Interview mit Friedrich Mülln

Interview mit Friedrich Mülln – Verlagsgruppe Droemer Knaur

Die Tragweite des Buches

„SOKO Tierschutz“ löst eine Achterbahnfahrt der Gefühle aus, hinterlässt viele Fragen und macht nachdenklich.

Wir blicken mit unserem inneren Auge nicht nur auf verletzte, kranke, gequälte und sterbende Tiere und auf die ausgeklügelte Industrie, die hinter jedem Stück Fleisch im Supermarkt steckt – wir schauen gleichzeitig auch in die Abgründe der menschlichen Seele. Spätestens seit diversen Coronavirus-Massenausbrüchen in Schlachtbetrieben wissen wir um die erschreckenden Bedingungen, unter denen die Mitarbeiter dort oftmals arbeiten und leben. Fleischproduktion ist in vielen Fällen nicht nur Tier-, sondern auch Menschenausbeutung.

Viele der Ereignisse, die Mülln in seinem Buch schildert, gehen jedoch weit über das hinaus, was man als einer dieser Lohnarbeiter zu tun bereit sein muss, um seine Familie zu ernähren. Wir erhalten Einblicke in eine perverse Lust an der Tierquälerei, eine Degradierung des lebendigen Wesens zum unbeseelten Objekt.

Glückliche Kühe auf grüner Wiese: mehr Illusion als Realität (Bild: Leon Ephraïm auf Unsplash)

Am Ende bleibt die Frage, auf die es keine Antwort zu geben scheint: Warum?
Ebenfalls offen bleibt die Frage, was unser Tierschutzgesetz eigentlich wert ist, wenn seine Einhaltung schon an der vorgeschriebenen Kontrolle durch die Behörden scheitert, wenn finanzielle Interessen grundsätzlich als übergeordnet bewertet werden?

Und selbst wer bislang geglaubt hat, dass man zumindest als vegetarischer Bio-Konsument doch eigentlich auf der richtigen Seite sein sollte, muss sich nach dieser Lektüre fragen, ob es nicht vielleicht auch ein Leben ohne Bio-Käse und Bio-Eier geben könnte.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich außerdem versprechen, dass der erste Besuch im Supermarkt während oder nach dem Lesen dieses Buches zu einem ganz „besonderen“ Erlebnis wird. Vor allem dann, wenn man einen näheren Blick auf die Fleischtheke oder auf die Zutatenlisten von Fertig-Lebensmitteln wirft…

Fazit

Hut ab vor der großartigen und wichtigen Arbeit, die Friedrich Mülln und seine Soko Tierschutz leisten! Nicht nur das Aufdecken krimineller Machenschaften und die bestenfalls daraus resultierende Verbesserung der Lebensbedingungen für die Tiere ist zentrales Thema, sondern genauso auch die Aufklärung der breiten Öffentlichkeit.
Mit „Soko Tierschutz“ halten wir einen wichtigen Baustein dieser Aufklärungsarbeit in den Händen – ein Buch, das lange nachhängt. Ich werde es garantiert immer wieder aus dem Regal nehmen, im Versuch zu verstehen und um nicht zu vergessen.

Eine klare Lese-Empfehlung gibt es daher also von mir für alle, die im Alltag in irgendeiner Form mit Fleisch und anderen tierischen Produkten zu tun haben – also für die meisten Verbraucher*innen und eigentlich auch so ziemlich alle Hundehalter*innen!

Denn das vielzitierte Argument, dass unsere Hunde ja schließlich nur Schlachtnebenprodukte zu fressen bekommen, erscheint angesichts der unsäglichen, jedoch alltäglichen Zustände in der Massentierhaltung in einem ganz anderen Licht – in einem trüberen, das jeglichen Glanz der „nachhaltigen Resteverwertung“ eingebüßt hat.

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